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Minute 38



Julian Paul

„Qui, qui“ waren die ersten französischen Worte, ohne jemals französisch probiert, gemacht oder gesprochen zu haben. Es ist ein einfaches „qui, qui,“ denn es kullert wie ein bäuerliches Grunzen über die Lippen und sagt so viel wie: „Leck mich am Arsch.“ Anatole leckt Henriette wohl nicht mehr am Arsch, heute beschäftigt man sich eher mit nostalgischen Angelausflügen ins Umland.

Treudoof ist der gute Anatole nicht mehr, die Ehe hat ihn mittlerweile zerrüttet. Angestrengt bittet er sein kariertes Bienchen darum ihm in die Jacke zu helfen. Besonders glücklich ist das Bienchen  darüber nicht, verdrückt sich noch die letzten Honigtränen und schaut entrüstet auf sein verfilztes blondes Haar. Wollig, schwarz und gelackt sollte es doch eher sein. Auf die alten Tage mit dem aufgequollenen James Dean der Pariser Pampa kann sich das Bienchen auch nicht mehr so recht konzentrieren.

Vorbei, aus die Maus oder Willkommen in der Realität! Die Mutter kann noch ordentlich auf den Putz hauen und in ihrem Sextrieb das Jean Paul Gaultier Model beglücken. Das „anständige“ Töchterlein mag’s lieber kantiger und schnappt sich das ölige Model mit Anti-Haft-Schutz. So flutscht er, wie auch sie dahin, und Henriette findet sich in der Ehe, nein viel schlimmer, beim Angeln (!), mit dem Auslaufmodell wieder. Da hilft auch keine Illusion der großen Liebe mehr:

Der Ausflug war halt auch nur ein aufgesexter Ausflug. Freudianisch plätschert das Wasser vor sich hin und wo es sonst noch so plätschert, bleibt unübersehbar. Umfahren wird das Wasser mit dem großen, schweren Holzboot, welches fließend dahingleitet. Anatole kann da nur mit einer krummen Angel dienen. So krumm und unbeständig die auch ist, er hat wenigstens 2 davon. Doch bevor sich Henriette sich seiner Angeln bedient, greift sie sich lieber an den eigenen Schirm. Selbst ist die Frau, wohl weniger selbstbewusst aber auf jeden Fall selbstlos.

Schmuckes Pariser Bienchen sucht aufgepimpten Bootsmann zum Anlegen. Bootsmann legt an, kann jedoch nicht die Standgebühr bezahlen. Pariser Bienchen summt jetzt gar nicht mehr und beweint das Triste Honigleben.

So und andersrum verdient sich Henriette wieder den nötigen Respekt, denn sie ist allemal konsequent. Man denke nur an den Ausgang der Geschichte, mit einer erfüllten Zweisamkeit, Liebe, Liebe, Liebe und vielen kleinen karierten James Dean Bienchen. Nein, Anatole wird der Vater ihrer Kinder.

Freunde werden diesen schrecklichen Moment durchleben, wenn sie das erste Mal das Kind erblicken und ins stottern kommen: „Das sieht aber... interessant aus.“

So schließt sich Jean Renoir in unserer aller Herzen!

Traurig blickt der verlassene Henri der noch verlasseneren Henriette hinterher. Die letzte Romantikerin neben mir wartet noch auf den erbitterten Zuruf währenddessen sich Anatole mit seinen dünnen Angeln im Gestrüpp verhängt: „Henriette, lass ihn hängen mit seiner kleinen Angel. Steig in meine venezianische Liebesgondel und werde meine vorstädtische Bäuerin. Wir werden uns zwischen Forellen und Absinth lieben und nachts die Kutschen reicher Pariser anzünden!“

In meinem Sequel zu Jean Renoirs Landpartie werde ich mit Pedro Almodovar als Produzent und Julie Delpy in der Rolle der Henriette, das Bild Jean Renoirs wieder beleben. Die Presse wird sich an diesem Versuch der Avantgarde das Maul zerreißen und ich werde die Welt der Filmkunst polarisieren: Eine hysterische Henriette 50 Jahre später, ein Abbild ihrer sexistischen Mutter und das gebrochene Herz Frankreichs im Zeitalter des 21. Jahrhunderts der Sarkozy-Dynastie.




Julian Paul: Vor 3 Jahren in die Großstadt gezogen warte ich immer noch auf den richtigen Film, wobei ich den schönsten schon gesehen habe. Mit ganz großen Stiefeln und viel zu viel Ungeduld bin ich auf der Suche obwohl ich die ganze Zeit nur warten wollte. Und ich würde mich gern verlieben und meiner Mutter ausrichten, dass ich immer noch nicht angekommen bin.