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Wie sie grinst. Sie spürt ihr offenes Korsett. Das wird deutlich, als Madame Dufour wiederholt an ihrem Spitzkragen nestelt. Meine Güte, wie angenehm sich Madame Dufour fühlen muss. Das gesamte Gespräch, in diesem Fall eine Minute lang, sitzt sie sozusagen unbeengt und nicht eingeschnürt mit ihrer Tochter und was viel aufregender für sie scheint, mit zwei fremden jungen Männern in der Natur auf einer Wiese unter blauen Himmel. Die Minute beginnt mit einer Einstellung, die alle vier Protagonisten zeigt. Henri steigt in diese Minute mit einem bedeutungsschwangeren Wetterbericht ein: „Es sieht nach Gewitter aus.“ Rodolphe ganz höflich: „Gestatten sie.“ Nachdem sich die Herren zu den Damen ins Gras gesellt
haben, ist die Kamera nur noch auf Henriette, Madame Dufour und
Rodolphe. Henriette sitzt in der Mitte. Madame Dufour scheint sichtlich
entzückt von dem unterwarteten Herrenbesuch. Und plappert
unbeschwert mit Rodolphe, der sich etwas unfair den Platz neben
Henriette ergattern konnte. Henri kommt das erste Mal ins Bild, als er
sichtlich genervt von den Bemerkungen Rodolphs die Augen verdreht und
das Gesicht abwendet. In Großaufnahme und allein. Danach
schaut der Betrachter wieder wie eingangs auf das Geschehen. Henriette
in der Mitte von Rodolphe und ihrer Mutter. Ab diesem Zeitpunkt
scheinen dem Zuschauer die Paare aufgeteilt. Und obwohl Henri nicht mit
im Bild ist, scheint es, als sei sein Blick aus dem OFF der Grund
für Henriettes Verhalten. Rodolphe und Madam Dufour
unterhalten sich prächtig. Rodolphe der ein schmieriges
Kompliment nach dem anderen aus dem Hemdsärmel zaubert und
Madame Dufour, die sich nur zu gern davon einwickeln lässt.
Dem gegenüber Henri und Henriette. Sie, die schon die ganze
Zeit vollkommen unberührt von Rodolphes Lobhudeleien, ja fast
abgestoßen davon, nervös und beschämt im
Gras sitzt und sich sichtlich unwohl fühlt. Und Henri, der
durch die zeigte Einstellung und Reaktion auf Henriettes Seite scheint.
Weshalb sind die Einstellungen so gewählt drei und eins? Ein Versuch: Henriette ist die Tochter von Madame Dufour und sie dient ihrer Mutter als Legitimation und Alibi für die Koketterie mit einem jungen Fremden. Ihr Bezug zu Rodolphe wird auch in dieser Minute klar (wenn man sich nicht den Film von beginn an angeschaut hätte). Sie ist das Objekt seiner Begierde. Und wenn man den Verlauf des Filmes kennt, ist einem der Bezug von Rodolphe und Madame Dufour klar. Fast noch interessanter die Frage: Warum wird Henri abseits und in dieser Szene nie mit den anderen zusammen im Bild gezeigt. Von ihm geht eine seltsame Wirkung auf Henriette aus und vielleicht um dieses unbekannte, obskure, für sie neue Gefühl, das er in ihr auslöst filmisch zu beschreiben. Seine Präsenz, obwohl außerhalb des Bildes wird durch Henriettes Verhalten verstärkt. Auf sie wirkt diese sich offenbar physisch aus. Auch wenn Henriette es vielleicht selbst noch nicht weiß. Ihr Durchbrechen von Rodolphes Monolog, ihre Frage an Henri nach den Booten und ihr plötzlicher Stimmungswandel hin zu einem euphorisch, kindlichen Wunsch eine Bootsfahrt zu machen, steht im Kontrast zu ihrer anfänglichen Befangenheit und Unsicherheit. Das Eis scheint gebrochen und Madame Dufours offenes Korsett steht als Metapher dafür am Anfang der Szene - einem Ausbruch aus der Enge des Kleinbürgerlichen, der Hingabe ihrer Gefühle.
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