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Eine Frauenstimme summt leise
eine Melodie.
Wie kleine Wellen sich im Wasser fortsetzend, ihre Kreise immer weiter
ziehend und mal auf, mal abfallend, trägt sie die
Töne in den
Raum. Behutsam und beharrlich nimmt sie ihn ein, schwingt sich auf und
nimmt sich zurück. Und dennoch passiert: Nichts. Das Summen ebbt ab, klingt
aus.
Nun sind es nur noch Ruderschläge, die Sätze
unterbrechen:
„Wollen wir uns hier nicht ein bisschen ausruhen?“,
fragt
Henri nicht ganz ohne Hintergedanken, „in der Nähe
ist ein
reizendes Plätzchen.“ „Monsieur Henri, ich
möchte
lieber nicht,“ lautet die Antwort aus Henriettes Mund. Doch
ihre
Augen, ihr ganzer Körper sprechen eine andere Sprache: Sie
scheint
zu wollen, scheint den Ausbruch zu verlangen und spricht dennoch das
Gegenteil aus. Sie „muss,“ wie sie selber
feststellt,
umkehren und ist darüber ganz offensichtlich tief
bedrückt. Zwei Menschen sitzen im selben Boot, wollen und kommen nicht zusammen. Zwischen ihnen vibriert es, doch sie üben sich in Verzicht. Henriette nennt die Sorgen ihrer Mutter als Grund zur Umkehr: „Es ist schon spät. Mama wird unruhig sein,“ und erduldet den Sieg der Vernunft über das Verlangen. Ihre Philosophie ist keine der Trunkenheit. Dazu muss man wissen, dass Sylvia Bataille die Frau des französischen Schriftstellers und Philosophen Georges Bataille ist, der gerade das Gegenteil dessen lehrt: Seine Philosophie ist eine der Verschwendung, der Auslebung überschüssiger Energie. Nur im Modus des sich Verlierens äußert sich die Vibration, also die Erregung des Lebens. Diese Trunkenheit aber, trägt destruktives Potential bereits in sich, weshalb sie als gesellschaftlich gefährlich begriffen wird, also eingeschränkt werden muss. Und genau diesem Paradigma unterwirft sich auch Henriette in Minute 30. (Im Übrigen hat sich Frau Bataille später von ihrem Mann getrennt. Ob dabei Trunkenheit im Spiel war, sei hier einmal dahingestellt.) Und Henri? Er ist ein moderner Odysseus, festgetaut an den Masten seiner eigenen Vernunft: „Gut, wie sie wollen,“ stellt er lapidar fest und wendet das Boot zur Umkehr. Eine schrille Frauenstimme durchdringt den Raum, zerschneidet abrupt die Stille. Maschinelles Pfeifen, einer Dampflok auf Hochtouren gleich – doch es ist nur die Mutter. Stimmen. Sirenen. Weiblich. Frust. Odysseus.
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