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Minute 25
Die Frage nach der Erlaubnis zur Verführung


Nadine Herzlieb

An einem sonnigen Donnerstag im April faltete ich ein weißes A5 Blatt auf und entdeckte eine sorgfältig ausgeformte, liebevoll mit schwarzem Edding geschriebene 25. Erleichtert dachte ich zunächst: ´25, super, eine ungerade, schöne Zahl. 25 – eigentlich auch ein schönes Alter ...´ Gespannt trug ich damals meine Filmminute nach Hause, und nach einer ersten Sichtung war ich zunächst beruhigt, dass sprechende Personen zu sehen waren, dass scheinbar überhaupt etwas passierte. Über einen Zeitraum von knapp drei Monaten sind wir nun 24 Minuten weit fortgeschritten und es kommt mir vor, als sei seit Beginn unseres Experimentes eine kleine Ewigkeit vergangen. Mit der 25. Minute sind wir im letzten Drittel der Landpartie angelangt.

Die 25 ist eine sonnige Minute. Sie enthält viel Dialog. Während der unzähligen Sichtungen, staune ich, was in einer Filmminute so alles gesagt werden kann und belächle, wie exzellent man auch aneinander vorbei reden kann. Ich stelle fest, dass die Differenzen zwischen Originalsprache, englischen Untertiteln und der mir vorliegenden deutschen Übersetzung beträchtlich sind und wünsche mir, Französisch besser verstehen zu können.

In der 25. Minute stellt Henriette eine, wie mir scheint, zentrale Frage. Sie bittet ihren Vater, ihr und der Mama zu erlauben, sich von den beiden Gentlemen auf einen Bootsausflug geleiten lassen zu dürfen. Eine Frage, deren Antwort einen Einfluss auf den weiteren Handlungsverlauf haben wird.

Mit Kenntnis der folgenden Minuten frage ich mich, was und wie viel ich mit diesem Vorwissen eigentlich schon in der 25. versuche abzulesen? Plötzlich erscheint es mir interessant, zu wissen, was ich wohl gedacht hätte, wenn ich sofort nach Erhalt meiner Minute, also noch ganz unberührt vom Gesamtwerk und unserem fortschreitenden Minutendiskurs, diese angeschaut, die ersten Eindrücke notiert hätte und nun eine Art unbefleckte Vergleichsmöglichkeit heranziehen könnte. Für einen kurzen Moment bereue ich es fast es ein wenig, es damals nicht getan zu haben...

Meine Minute beginnt in der Szene, als Rodolphe, mit zwei Angelpaketen aus Schilfrohr und Köderbüchsen aus Konservendosen bewaffnet, schnell zu Henriette und Henri zurückkehrt. Zu schnell wie mir scheint, denn wie gern hätte Henri noch mehr Zeit mit der entzückenden Henriette allein verbracht. Gemeinsam gehen Henri, Rodolphe und Henriette nun die paar Schritte zu Anatole und M. Dufour hinüber. Zumindest macht uns ein schneller Schnitt die Überwindung einer kurzen Distanz glaubhaft. Die Kamera folgt der Laufrichtung unserer drei Figuren. Sie gehen langsam seitlich an der Kamera vorbei, um dann kurz vor dem Schnitt rechts von der Kamera stehen zu bleiben.

Den Inhalt ihres Gespräches bis dort hin verstehe ich als eindeutig zweideutig. Rodolphes Frage „Du bist dir doch hoffentlich über die große Verantwortung klar, eh?“ wird von Henri leise aber mit einem bekräftigenden Nicken beantwortet: „meine Erfahrung wird mich schon nicht im Stich lassen.“ In den englischen Untertiteln schlichtweg unterschlagen, registriere ich unbeeindruckt, was er offensichtlich im Schilde führt. Henri lässt sich etwas zurückfallen und schaut Rodolphe eindringlich an, diese beiden Sätze sind wohl ausschließlich zwischen den beiden zu verstehen.

Bei diesem, Henris Satz, verklingt die Musik. Von nun an ist meine Minute musiklos – aus Spaß wird Ernst.

Henriette läuft vor den beiden Männern, gibt sich in der Unterhaltung allwissend, redet allerdings von einer ganz anderen Verantwortung, nämlich der Unternehmerischen. In dem Moment wenn Rodolphe sagt, er und Henri seien nicht immer einer Meinung, versetzt Henri Rodolphe hinter Henriettes Rücken einen „liebevollen“ Tritt in den Hintern, manchmal betrügen sie sich gegenseitig – bedeutungsschwere Worte. Und was ist mit Henriette? Ist sie tatsächlich so naiv oder tut sie nur so? Mir scheint, als hätte sie den Angelköder doch längst geschluckt.

Henri wird die Angelegenheit plötzlich zu heiß. Seine Jacke, die er bisher locker über die Schultern übergeworfen getragen hat, zieht er nun ganz aus. Henriette plappert in ihrer erfrischenden Art fröhlich weiter, ihr Vater würde genau aus diesem Grund, also, dass man manchmal eben nicht einer Meinung ist, lieber allein arbeiten. Mit Anatole, dem „ignoramus,“ arbeitet man vielleicht auch besser und effizienter allein. Textlich eine sehr passende Überleitung zum gleich folgenden Schnitt.

„Dick und Doof“ zu beobachten bei akrobatischen Übungen. Anatole versucht sich beinstrampelnd an der Schaukel hochzuziehen. Dahinter ackert sich M. Dufour an den Ringen ab. Hatten sich M. Dufour und Anatole nicht vom Picknick entfernt, um Anatoles Schluckauf zu bekämpfen? Nun finden wir sie wie zwei spielende Kinder an den Schaukeln wieder, und was ist Sinn dieser Übung? Angestrengt hält Anatole inne, seine Anzugsordnung ist schon sichtlich durcheinander geraten. Zumindest greift er verbal den Grund für das Entfernen von der Picknickdecke auf: Schluckauf.

Leichter Kameraschwenk nach links. Rodolphe, Henriette und Henri kommen ins Bild. Die Herren lassen die Dame vorauseilen. Genau in der Mitte meiner Minute der eigentliche Hauptact: Henriette stürzt zu ihrem Vater und fragt die zentrale Frage. Leicht irritiert, hakt M. Dufour noch mal nach, „eine Bootsfahrt?“, „eingeladen?“. Rodolphe und Henri stupsen sich im Hintergrund gegenseitig unauffällig an und genau im richtigen Moment, dass M. Dufour nicht weiter rumfragen kann und vielleicht noch ins Grübeln kommen könnte, schleicht sich Rodolphe nach vorne und überreicht M. Dufour ein Angelpaket.
Rodolphes sanfter Bestechungsversuch lenkt den alten Dufour tatsächlich von Henriettes Frage ab. „Falls die beiden Angelsportler seien…“ es sieht jawohl jeder, dass diese beiden Witzfiguren keine Angelsportler sind…wäre es Rodolphe und Henri eine Freude…“ Wie? Was wäre den Beiden eine Freude? Die Frauen zu verführen. Sie tauschen Angeln samt Köder also gleich gegen die Beute.

Schnitt

Anatole in Nahaufnahme bringt in seinem kindlichen Gemüt mit einer nahezu beneidenswerten Begeisterung rüber, dass Fischen seine Leidenschaft sei. Besitzt der semmelblonde Jüngling auch noch andere Leidenschaften? Beispielsweise könnte er ja auch mit seiner Leidenschaft zusammen eine Bootsfahrt unternehmen, vorausgesetzt Henriette wäre eine seiner Leidenschaften. Würde er sie tatsächlich ohne mit der Wimper zu zucken mit den beiden Charmeuren gehen lassen? Entsetzt frage ich mich, ob Anatole womöglich am Fischen mehr Interesse hat, als an seiner Verlobten.

Schnitt

Wieder alle fünf im Bild. Henri nestelt am Seitenrand etwas im Abseits eine Zigarette aus seinem Jackett und zündet sie an. Er kommt mir etwas gelangweilt vor, hält sich wohl besser aus dem angeregten Gespräch raus und überlässt die Situation ganz Rodolphes Charme.

Rodolphe, voll in seinem Element, überreicht nun die Köderbüchsen. Henriette betrachtet ihren Vater mit einem erwartungsvollen Blick, die Antwort auf ihre Frage steht schließlich noch immer aus.

Anatole übernimmt mit offenem Mund ein Angelpaket, das M. Dufour durchreicht, und während er die Konservenbüchse mit den Ködern empfängt, gibt er sich mit der simplen Frage nach der Köderspezialität für Hechte mal wieder als Trottel. M. Dufour setzt dem Ganzen noch eins drauf, indem er ihn als einen „ignoramus“ betitelt. M. Dufour darf so was sagen, er ist der Chef im Ring, der Papa mit Lebenserfahrung.

Henriettes Blick wandert indessen zu ihrem Verlobten und ihr Gesichtausdruck verändert sich kurz zu etwas mitleidig Traurigem. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass Henriette und Anatole rein optisch gesehen, ein merkwürdiges Paar abgeben. Sie erscheint mir genauso groß, wenn nicht sogar größer als Anatole. Der eigene Vater bezeichnet ihren Verlobten als einen Dummkopf. Henriettes Augen, wandern mit strafendem Blick kurz zu M. Dufour, der Satz hat sie peinlich berührt.

Anatole versucht, sein Glücksgefühl euphorisch auf M. Dufour zu übertragen. M. Dufour bekräftigt stolz den dringlichen Wunsch der Städter nach einer selbst erlegten Beute „bestimmt werden wir nicht ohne einen Fisch nach Paris zurückkehren.“ Werden auch die Angler am Ende des Tages ihre Beute erlegt haben? Henri schaut mit brennender Zigarette aus dem Hintergrund Henriette an. Henriette dreht sich lächelnd zu Rodolphe. Rodolphes Geste kann ich aufgrund seiner abgewandten Position leider nicht deuten, dabei wäre es höchst interessant, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Fummelt er nur an seinem Mund rum oder gähnt er tatsächlich? Falls es tatsächlich ein gelangweiltes Gähnen sein sollte, fände ich es ziemlich ungehobelt. Der eine steckt sich im Hintergrund eine Zigarette an, der andere gähnt während der Unterhaltung? Auf den ersten Blick Gentlemen, beim genaueren Hinsehen die Feststellung, dass sie keine Manieren haben?

Jedenfalls scheint ihr Plan zu funktionieren, Anatole und M. Dufour fressen ebenfalls die Köder. M. Dufour weiß gar nicht wie er den Herren danken soll, erspähe ich noch in den Untertiteln, das spricht er jedoch nicht mehr in meiner Minute aus …