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Minute 37



Sarah Beckhoff

‚Was für mich zählte, war eine schöne Großaufnahme. Nun brauchte man, damit das Publikum die Großaufnahme auch schluckte, eine Geschichte. Dieser Notwendigkeit unterwarf ich mich, wenn auch widerwillig. Selbstverständlich war ich dagegen, literarische Meisterwerke auf die Leinwand zu übertragen. Nie würden wir uns darauf einlassen, sagten wir. Ein Säuferschwur.’

Der Säufer: Jean Renoir. Zitat: Aus seiner Autobiografie ‚Mein Leben und meine Filme.’

Dort beschreibt er auch, dass das Element, welches seinen Werdegang als Filmautor zweifellos beeinflusst hat, das Wasser ist. Kino ohne Wasser – nicht vorstellbar. Die Bewegung des Films wird mit dem Dahinströmen eines Flusses verglichen. Dieselbe Unausweichlichkeit ist die erste, von ihm selbst als ‚linkisch’ bezeichnete Erklärung: ‚In Wirklichkeit sind die Bande zwischen dem Kino und dem Fluss weit subtiler und umso stärker, als sie unerklärlich sind.’

Der Antrieb, diesen Film zu machen, ist vielleicht in den Bildern dieser Minute versteckt. Vielleicht waren sie es, die Renoir vor Augen hatte, als er das Projekt in Angriff nahm, die Entschuldigung, eine literarische Vorlage zu verfilmen.

Eigentlich ist Minute 37 ein Film für sich, verständlich, rund und mit Spannungsbogen auch ohne die restlichen 38 Filmminuten. Die Musik ist zum dramatischen Höhepunkt dominant – und plötzlich fühlt sich der Film sehr, sehr alt an. Anatole ist das personifizierte Unglück, das aus dem Schlaf erwacht. Und als Henri sich leicht wegdreht und die Zigarette anzündet, ist er nicht ganz der unglückliche Ritter, den die Musik suggeriert.

Wir befinden uns in dieser Minute in der Natur, welche die Jahre unverändert überstanden hat, so wie auch die Protagonisten nicht körperlich älter scheinen.

Nur hat Henriette all ihre Leichtigkeit und Naivität verloren: am Ufer des unveränderten Flusses blicken die Protagonisten auf ein nicht gelebtes Leben.

Sie dürfen dazu in vier von zehn Einstellungen das Bild teilen, wobei die erste Henriette folgend Henri findet, die zweite ein grenzwertiger over-the-shoulder-Blick zu Henri ist, nur am linken Bildrand taucht Henriettes Profil auf.

Im Verlauf folgen zwei over-the-shoulder-Blicke zu Henriette, wobei Henris Schulter das Bild dominiert.

In Minute 37 bleibt vieles unausgesprochen, aber alles ist gesagt.

Vielleicht ist das auch hier der bessere Weg.